Nach dem Ersten Weltkrieg führte ein Militärauftrag zur Entwicklung eines vielseitigen Fahrzeugs, das für unterschiedlichste Einsatzzwecke geeignet war und es Fiat ermöglichte, seine Fahrzeugpalette auch auf den ländlichen Raum auszuweiten. Der Fiat Campagnola wurde in der Nachkriegszeit zu einer Ikone des Wiederaufbaus mit einer breiten Palette von zivilen und militärischen Anwendungen.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs vermachten die amerikanischen Alliierten der italienischen Armee viele der Transportmittel, die zur Durchführung der Befreiungskampagne im Lande verwendet wurden. Darunter war neben Lastwagen und Schwerfahrzeugen auch der vielseitige Jeep Willys: eine Kreuzung aus robustem Arbeitsfahrzeug und wendigem Kleinwagen, der u. a. dank seines Allradantriebs raue Pisten überwinden und intensivem Einsatz unter widrigsten Bedingungen standhalten konnte.
Anfang der fünfziger Jahre schrieb das italienische Verteidigungsministerium die Lieferung von an Geländewagen inspirierten Fahrzeugen aus, mit dem Ziel, ein Aufklärungsfahrzeug für das Heer (Autoveicolo da Ricognizione per l'esercito) zu schaffen, von dem sich das militärische Akronym AR ableitet. Die beiden wichtigsten italienischen Hersteller, Fiat und Alfa Romeo, präsentierten 1951 ihre Vorschläge. Der von Dante Giacosa entworfene Fiat „AR51” wurde von der Führungsspitze der Armee gegenüber dem Konkurrenten Alfa Romeo 1900 M vor allem wegen der geringeren Wartungskosten bevorzugt.
Seit dem Entwurf des Prototyps sah Fiat die Möglichkeit, ein Fahrzeug zu bauen, dem die holprigen - und meist unbefestigten - Straßen der italienischen Halbinsel nichts anhaben konnten. Es sollte nicht nur den Bedürfnissen des Militärs, sondern auch der Landwirtschaft entgegenkommen: eine Arbeitswelt, die in Italien schon immer präsent war und die mit der Wiedergeburt in der Nachkriegszeit noch stärker zum Protagonisten der nationalen Wirtschaft wurde. Das neue Allradfahrzeug sollte ursprünglich „Alpina“ heißen (als Hommage an die bemerkenswerten Fähigkeiten des AR 51 bei der Bewältigung von Steigungen), doch wurde daraus nun in Anspielung auf den ländlichen Einsatz „Campagnola”.
Der von Giacosas Team entworfene Fiat Campagnola AR51 basierte auf dem 1900 cm³-Benzinmotor, mit dem die 1400/1900er Limousinen ausgestattet waren, und wurde auf 53 PS gedrosselt, um ihn robuster und zuverlässiger zu machen. Die Architektur des Fahrzeugs war konventionell: Chassis mit Längs- und Querträgern, Blattfedern hinten und moderner Einzelradaufhängung vorne.
Der ausgeklügelte, effektive Antriebsstrang bestand aus einem 4-Gang-Getriebe, das mit einem Untersetzungsgetriebe ausgestattet war. Die Traktion erfolgte normalerweise hinten, mit der Möglichkeit, nach dem Einlegen der untersetzten Gänge einen Teil des Antriebsdrehmoments an die Vorderräder zu senden. Um unter schwierigsten Bedingungen die maximale Traktion zu erhalten, war es möglich, die Differentiale an beiden Achsen zu sperren. Unterschiedliche Radstände und Fahrgastraumkonfigurationen machten das artikulierte Angebot noch anpassungsfähiger an unterschiedliche Bedürfnisse.
Zum Benzinmotor 1900 gesellte sich 1953 ein Dieselaggregat – weniger stark, aber besonders sparsam im Verbrauch. Neben dem Dieselmotor erhielt der Campagnola in den ersten Jahren mehrere technische Updates, die in das neue Militärmodell mit dem Namen AR59einflossen.
Das Fahrzeug blieb über zweiundzwanzig Jahre in Produktion und profitierte von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung – insgesamt wurden über vierzigtausend Einheiten hergestellt.
Im Jahr 1974 präsentierte Fiat den Nuova Campagnola. Es handelte sich um ein völlig neu konstruiertes Auto, eine echte Revolution für die damalige Zeit: Das herkömmliche Fahrgestell mit Längs- und Querträgern wurde aufgegeben und durch eine moderne Karosserie ersetzt, von zwei mit dem Monocoque verschweißten Längsträgern verstärkt. Zwei Motoren standen zur Wahl: ein Zweiliter-Benzinmotor – abgeleitet vom Fiat 131 – und ein 2500er Diesel, der ab 1979 erhältlich war. Aus diesem revolutionären Campagnola, der bis 1987 in Produktion blieb, entstand die Militärversion AR76.
Neben der ländlichen Nutzung und der Versorgung des Militärs wurden viele Campagnolas von Unternehmen gekauft, die in ländlichen Gegenden tätig waren, insbesondere von ENEL, das nach der Verstaatlichung der Elektrizitätswirtschaft in den 60er Jahren bei der komplexen Wartung eines der modernsten Stromnetze der Welt auf das Können des Turiner Allradfahrzeugs angewiesen war. Ein Exemplar des Nuova Campagnola, das Fiat 1980 dem Heiligen Stuhl schenkte und das rigoros weiß lackiert wurde, diente fast dreißig Jahre lang als Papamobil für Johannes Paul II. und Benedikt XVI.