Der FIAT S61 aus dem Jahr 1908 erklimmt 1911 das Podium der ersten Ausgabe des 500-Meilen-Rennens von Indianapolis. Im darauffolgenden Jahr kann er die beiden ersten Plätze auf der Rennstrecke von Santa Monica belegen und gewinnt 1912 den prestigeträchtigen Großen Preis von Amerika.
Im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts verbreitete sich der Rausch der Geschwindigkeit in der ganzen Welt und Italien ist Protagonist dieser neuen Welle der Moderne. Im Mai 1906 findet die erste Ausgabe der Targa Florio in Sizilien statt. Im Monat darauf wird auf der Rennstrecke von Le Mans der erste Grand Prix der Geschichte ausgetragen, der vom Automobile Club de l’Ouest (dt.: Automobil-Club des Westens) organisiert wird. IIn diesem Szenario des heftigen sportlichen Fiebers entsteht der FIAT S61 Corsa, ein zweisitziger Rennwagen, der speziell für den nordamerikanischen Markt entwickelt wurde.
Der S61 Corsa leitet sich vom gleichnamigen Gran Turismo ab, der mit einer viersitzigen Torpedokarosserie angeboten wurde, verfügt aber über einen Motor mit erhöhter Leistung und ein leichteres Fahrgestell. Angetrieben wird er von einem Vierzylinder-Reihenmotor, der aus zwei gekoppelten Doppelzylindern mit einem damals üblichen Hubraum von 10.087 cm3 besteht. Die Verteilung übernimmt eine moderne obenliegende Nockenwelle, die 4 Ventile pro Zylinder mit jeweils zwei Zündkerzen betreibt. Die meisten externen mechanischen Komponenten - wie Kühler und Wasserpumpe - sind aus Messing gefertigt. Die Leistung ist für damalige Verhältnisse atemberaubend: von 115 bis 125 PS – je nach Konfiguration – bei 1800-2100 U/min, mit einer Höchstgeschwindigkeit von fast 160 km/h.
Das Fahrgestell mit Längsträgern und Querverbindungen ist aus Stahl, die Karosserie aus Aluminium. Ein Viergang-Getriebe geht dem Differential voraus, der Antrieb ist hinten und die letzte Übersetzung erfolgt wie bei Motorrädern mit zwei Sätzen aus Ritzel, Kette und Kranz, einer pro Rad. Das Bremssystem besteht aus nur zwei Trommelbremsen an den Hinterrädern und einer Bandbremse an der Antriebswelle mit Fußbedienung; es gibt keine Bremse an den Vorderrädern. Eine Rennbestie, die nur schwer zu beherrschen und der Mechaniker immer mit an Bord ist, um den Benzintank unter Druck zu halten.
Der FIAT S61 erzielt große Erfolge bei den in Amerika veranstalteten Rennen, wo er 1911 bei der ersten Ausgabe des 500-Meilen-Rennens von Indianapolis mit David Bruce-Brown am Steuer bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 117 km/h den dritten Platz belegt. 1912 gewinnt Ted Tetzlaff auf der Rennstrecke von Santa Monica vor einem weiteren S61. Der Sieger legt die 487,5 Kilometer des Rennens mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 127,170 km/h zurück. Er stellt mit 144,803 km/h auch den Rundenrekord auf. Noch prestigeträchtiger ist jedoch der Sieg, den Caleb Bragg beim Großen Preis von Amerika 1912 auf der Rennstrecke von Milwaukee erringt.
Diese unbezwingbare Rennmaschine ist der ganze Stolz der Abteilung von FCA Heritage. Der Rennwagen erhielt eine sorgfältige und akkurate Restaurierung, die ihm nach zehn Jahren harter und geduldiger Arbeit den Dynamismus zurückgibt, mit dem er vor 110 Jahren gewonnen hat.
Viele Jahren nach den glorreichen Siegen in Amerika kehrt 1970 das fünfte hergestellte Exemplar des FIAT S61 nach Turin zurück und wird komplett zerlegt in einem Lagerhaus aufbewahrt. Vor zehn Jahren beschloss das Mechanikerteam, das sich um die historischen Fahrzeuge der FIAT Group kümmert, einen Versuch zu wagen, um die „Rennbestie“ zu neuem Leben zu erwecken. Erst nach vielen Jahren akribischer Arbeit gelingt es dem Team 2016, eine der komplexesten bisher durchgeführten Restaurierungen abzuschließen.
Es wird ein schwieriges Unterfangen: Es fehlen technische Zeichnungen und Unterlagen und die geschichtlichen Hinweise sind mehr als spärlich. Viele Bauteile haben zudem besonders komplexe Funktionsweisen. Wie zum Beispiel die Kupplung, die aus 72 Scheiben besteht, welche in eine Schmierflüssigkeit eingetaucht „arbeiten“, deren genaue Zusammensetzung niemand kennt. Erst nach zahlreichen Versuchen mit Schmiermitteln aller Art entsteht ein Gemisch aus Motoröl, Dieselöl und Benzin, das die richtige Viskosität aufweist. Die Restaurierung erweist sich als besonders herausfordernd, aber die Techniker sind fest entschlossen, nicht aufzugeben.
Der konservative Ansatz erfordert, dass so viele Originalelemente wie möglich erhalten bleiben. Die Rekonstruktion der Ventile und ihrer Halterungen war unvermeidlich. Lobenswert hervorzuheben ist hingegen die Erhaltung der beiden noch originalen Zylinderblöcke aus Gusseisen sowie der riesigen Pleuelstangen. Die Räder, mit denen der S61 nach Turin kam, waren nicht mehr die Holzräder der ersten Rennen, da diese bei späteren Rennen durch modernere Speichenräder aus Stahl ersetzt wurden.