Mit dem "Millenove" führt Alfa Romeo erstmals die Montagekette in Portello ein, baut sein erstes Automobil mit selbsttragender Karosserie und lanciert den Vierzylindermotor Bialbero mit zwei obenliegenden Nockenwellen, der die vom Glück gesegneten Folgejahre auszeichnet.
Nachdem Alfa Romeo die ersten zwei Formel-1-Weltmeisterschaften gewonnen hat, kehrte der Automobilbauer ungeschlagen der Spitzenliga des Autorennsports den Rücken: der Traum eines jeden Autobauers. Dabei handelte es sich keinesfalls um die Selbstgefälligkeit eines siegessicheren Sportlers, der den Verlauf der Zeit vorwegnehmen wollte, sondern vielmehr um eine präzise strategische Entscheidung, die an die im Unternehmen stattfindenden Veränderungen gebunden war. Der Autobauer mit der Biscione (große Natter) im Emblem konzentrierte all seine Kräfte auf die Herstellung eines neuen Fahrzeugs, für die Orazio Satta Puliga beauftragt wurde. Vor diesem Hintergrund entstand 1950 der elegante 1900, der erste Alfa Romeo mit in das Fahrgestell integrierter selbsttragender Karosserie. Das war aber nicht die einzige Neuheit: Auch die Produktionslinie im Werk in Portello veränderte sich grundlegend und nahm durch die Einführung der Montagekette eine industrielle Struktur an.
Der Alfa Romeo 1900 basierte auf einer konventionellen, mechanischen Konzeption: Längs-Frontmotor, 4-Gang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb; vordere Einzelradaufhängung, mit Spiralfedern und Stabilisator, starre Hinterachse mit Längs-Pleuel und dreieckigem Mittelträger, Spiralfedern. Die Vierzylinder-Reihenmotor mit 1884 cmm verfügte über einen Aluminiumkopf mit zwei Nockenachsen mit Kettentrieb und wurde nur durch einen Vergaser versorgt. Er bot 80 PS und trieb die 1100 kg des “Millenove” bis auf 150 km/h.
Die schlichten, eleganten Außenlinien zeichneten sich durch eine weiche, geschwungene Form aus, aus der sich die drei Volumen ergeben, sowie durch den charakteristischen, dreilappigen Kühlergrill aus Chrom, der den unverwechselbaren Stil des Mailänder Autobauers kennzeichnete. Im Fahrzeuginneren garantierten die durchgehende Frontbank und der Schalthebel am Lenkrad problemlos den Transport von sechs Personen.
Allgemeinen Bekanntheitsgrad erhielt dieses Automobil durch den bekannten Slogan: "Das Familienauto, das Rennen gewinnt". Der 1900 begann in der Tourismusklasse den Ton anzugeben, blieb aber dennoch eine herausragende Limousine für den Alltagsgebrauch.
Auch wenn Alfa aufgrund zahlenbedingter Gründe die Formula 1 verließ, so änderte sich nichts an der sportlichen DNA des Unternehmens, im Gegenteil. Im Verlauf der Jahre bis zum ersten 1900 wurde die Produktion durch leistungsstärkere Automobile ergänzt, der T.I. (Turismo Internazionale) von 1952 machte da nur den Anfang. Mit seinem Doppelvergaser und vergrößerten Ventilen trieb er den Bialbero zur 100 PS-Leistung bei 5.500 U/min und einer Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h. Das Fahrzeug entwickelte sich zum Liebling leidenschaftlicher Gentlemen-Fahrer, die ihre Fahrlust bei Straßen- und Streckenrennen austobten.
1954 kamen dann der 1900 Super sowie der muskulösere T.I. Super, die sich beide durch eine Hubraumvergrößerung auszeichneten und nun 1.957 cmm erreichten. Mit einem Verdichtungsverhältnis von 8:1 erzielte die Leistung des T.I. Super 115 PS und die Höchstgeschwindigkeit stieg damit auf 180 km/h. Auf der Grundlage der Limousine kreierte die Boano Karosseriewerkstatt eine originelle, als "Primavera" bezeichnete 3-türige Ausführung, die auch in Bicolor-Optik angeboten wurde.
1951 entschied Alfa Romeo unterschiedliche Ausführungen der Limousine zu produzieren, um Kunden ein im Design und Anwendungszweck unterschiedliche Fahrzeugvarianten anbieten zu können. Ein straßentaugliches Fahrgestell wurde den bedeutendsten Ateliers zur Verfügung gestellt: Pininfarina realisierte ein elegantes Coupé und ein puristisches Cabrio; Touring zeichnte eine Sportlimousine mit Aluminiumkarosserie mit dem Namen 1900 Sprint, die 1955 nach einem Upgrade 1900 Super Sprint hieß und einen Motor mit 1.957 cmm sowie ein 5-Gang-Schaltgetriebe hatte; basierend auf dieser neuesten Motorisierung entwickelte Zagato die schnittigere Version mit Rennwagencharakter, das originelle Coupé SSZ.
Die beeindurckendste Version war jedoch ohne Zweifel der 1900 C52, ein Prototyp-Sportfahrzeug, das besser unter dem Namen “fliegende Untertasse” bekannt war und ebenfalls aus der Feder von Touring stammte. Der Motor erreichte nun 158 PS, aber der Gitterrohrrahmen hatte Rennauto-Charakter: 735 kg für 220 km/h Höchstgeschwindigkeit.
In weniger als einem Jahrzehnt – die Produktion wurde 1958 eingestellt – verließen mehr als 17.000 Alfa Romeo 1900 die Montagekette in Portello. Verschiedene Modelle des einmaligen Alfa Romeo 1900 befinden sich heute in der Sammlung von FCA Heritage und sind derzeit im Alfa Romeo Museum in Mailand zu sehen.